(P)Ostmoderne Kirchen

Während der westdeutsche Kirchenbau in den späten 1970er Jahren scheinbar fast zum Erliegen kam, öffnete sich in Ostdeutschland gerade wieder ein Fenster für neue Pläne. Gegen West-Geld erlaubte die DDR-Regierung damals verschiedenen christliche Gemeinschaften, eigene Räume zu errichten: Unter dem Motto „Kirchen für neue Städte“ wurden die ersten Bauten noch in den 1970er Jahren eingeweiht, die letzten Projekte vollendete man in den frühen 1990er Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung. Es wird geschätzt, dass im sogenannten Sonderbauprogramm rund 80 neue Gottesdiensträume entstanden. Hinzu kamen zahlreiche Sanierungen von historischen Kirchen vor allem in den größeren Altstädten. Doch während der Nachkriegskirchenbau der 1950er und 1960er Jahre inzwischen vermehrt die fachliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, blieb diese Baugattung der Spät- und Postmoderne bislang fast unbeachtet.

Inzwischen haben die Bauten der 1970er, 1980er und 1990er Jahre allgemein an historischer Distanz gewonnen, werden aber durch den wachsenden Sanierungsstau zunehmend zur Disposition gestellt. In der jüngsten Forschung wenden sich Architekturgeschichte und Urbanistik zwar vermehrt der Postmoderne zu, doch der Kirchenbau ist hier als Gattung noch weitestgehend unbearbeitet. Auch die Zeit- und Kirchengeschichte hat sich intensiv mit dem Verhältnis der christlichen Gruppierungen zur DDR-Regierung und zur Bürgerrechtsbewegung auseinandergesetzt, meist ohne die architektonischen Räume jener Jahre mitzudenken. Damit wurde der Kirchenbau im DDR-Gebiet bislang nur in Schlaglichtern und vorwiegend im römisch-katholischen Bereich behandelt – ein Überblick über das Bauen der Religionen in der Spät- und Postmoderne im deutsch-deutschen Vergleich steht noch aus.

Die AG „Kirche und Kulturerbe“ an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald organisiert in Kooperation mit dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz daher den Studientag „Kirchen für neue Städte“, der am 15. September 2023 in Greifswald stattfinden wird. Dafür richtet sich der Call for Papers an (Nachwuchs-)Wissenschaftler:innen aller Fachbereiche (z. B. Architektur(-geschichte) und Denkmalpflege, Theologie und Religionswissenschaft). Mögliche Fragestellungen sind: Lassen sich zwischen den Kirchen des Sonderbauprogramms stilistische Gemeinsamkeiten ausmachen? Wie stellt sich der Vergleich dieser Bauphase in Ost- und Westdeutschland dar? Welchen Einfluss hatten westdeutsche, schwedische und weitere nicht-ostdeutsche Architekt:innen und Künstler:innen auf das Sonderbauprogramm? In welchem Zusammenhang standen die Sonderbauprogramm-Projekte zu den sie umgebenden Altstädten und Neubauquartieren? Welche Rolle kommt ihnen in der besonderen Kirchen- und Religionsgeschichte Ostdeutschlands zu? Und welche Nutzung und Wertschätzung erfahren die Kirchen der 1970er bis 1990er Jahre heute?

Senden Sie Ihr Exposé (maximal 3.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) für ein 20-minütiges Referat und eine kurze Vita (maximal 1.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis zum 31. März 2023 an: berkemannk@uni-greifswald.de. Die Konferenzsprache ist Deutsch. Vorbehaltlich der bewilligten Förderung werden für Referent:innen fünf Reisestipendien ausgelobt. Veranstalterin ist die AG „Kirche und Kulturerbe“ an der Universität Greifswald, vertreten durch den Theologen Prof. Tobias Braune-Krickau und die Theologin/Kunsthistorikerin Dr. Karin Berkemann, in Kooperation mit dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz. Der Studientag ist Teil der Veranstaltungsreihe “Experiment Moderne”, die im Sommer und Herbst 2023 die ostmoderne Altstadtplatte der Hansestadt Greifswald neu in Szene setzt.

Download des Calls

Leinefelde, St. Bonifatius (Bild: Andreas Vogel, CC BY SA 3.0, 2009)

„Die Denkmalpflege“ zur Inventarisation

„Die Denkmalpflege“, die wissenschaftliche Zeitschrift der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, widmet sich in ihrem aktuellen Heft den Themen rund um die Inventarisation. Dabei reichen die Beiträge von den Grundsatzfragen bis zum Perspektivwechsel hin zum Postkolonialismus, von der Fortschreibung bestehender Listen bis zum Blick auf die Architektur des späten 20. Jahrhunderts. In ihrem Beitrag „Denkmalschwärmen“ beleuchtet Dr. Karin Berkemann die Frage, welche Rolle das Crowdsourcing in der Inventarisation einnehmen kann.

Berlin-Spandau, Zufluchtskirche, Abriss geplant (Bild: Gunnar Klack, CC BY SA 4.0, 2019)

Religion machen

Mit der Einführung der Fotografie hat sich auch die religiöse Welt verändert. Viele Glaubenspraktiken leben davon, das eigentlich Unsichtbare doch greifbar und handhabbar zu machen. Wo die Malerei noch auf eine imaginäre Sphäre verweisen konnte, haftet der Fotografie der Anspruch auf Dokumentation an. So wurden dem Lichtbild in den Religionen ganz unterschiedliche Funktionen zugewiesen – als vermeintlicher Beweis des Übernatürlichen, als Stellvertreterin des Angebeteten oder schlicht als Illustration der von den verehrten Heiligen besuchten Stätten. Diesem Themenkomplex widmet sich die internationale Konferenz „Photographic Practices and the Making of Religion“, die vom 25. bis zum 26. November 2022 unter der Tagungsleitung von Moritz Lampe am Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig stattfndet. In ihrem Vortrag „Photography as Proof of Genuine Religious Experience“ referiert Dr. Karin Berkemann (Universität Greifswald) über den Palästinakundler Gustaf Dalman als Fotografen, Fotosammler und Fotodeuter.