Save the Date: Pomo satt in Greifswald

Bei Kenner:innen muss man für Greifswald schon lange nicht mehr Werbung machen: In der Hansestadt mischen sich nicht nur Backsteingotik und Caspar David Friedrich, sondern hier wurde in den 1980er Jahren moderne Architekturgeschichte geschrieben. Die mittelalterliche Planstadt auf schachbrettartigem Grundriss schien perfekt für ein Experiment. Mit der Altstadtplatte wollte eine junge Planer:innengenration verfallende Straßenzüge passgenau rekonstruieren. Nur einzelne historische Häuser wurden bewahrt und neu in Szene gesetzt, während man die Neubauten in abwechslungsreichen Plattenformaten und mit künstlerischen Schmuckmotiven aufwertete. Diesen Aufbruch rückt die Veranstaltungsreihe „Experiment Moderne“ im Spätsommer 2023 neu in den Blick – mit zwei Ausstellungen und einem Studientag. Vom 26. August bis 20. September ist die Fotoinstallation “Altstadtplatten. Bau und Kunst in Greifswald 1970–1990” im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg und im angrenzenden Kunstschaufenster (Martin-Luther-Straße/Lange Straße) zu sehen. Der Architekturfotograf Martin Maleschka verbindet so seinen ganz persönlichen Blick auf die hanseatische Spätmoderne mit originalen Zeugnissen der baubezogenen Kunst.

Auch in Sachen Kirchenbau haben die 1980er Jahre in Greifwald sehenswerte Spuren hinterlassen. Denn während diese Architekturgattung in der BRD in den späten 1970er Jahren fast zum Erliegen kam, öffnete sich in der DDR wieder ein Fenster für neue Projekte – gegen Westgeld. Der transdisziplinäre Studientag “Kirchen für neue Städte” widmet sich am 7./8. September 2023 eben jenen religiösen Räumen der Spät- und Postmoderne in Ostdeutschland im gesamtdeutschen und europäischen Umfeld. Nicht zu vergessen die Modernisierung von DDR-Altstadtkirchen, so wie der Greifswalder Dom St. Nikolai durch den Hamburger Architekten Friedhelm Grundmann bis 1989 eine neue Innenraumgestaltung erhielt. Genau hier wird die Hamburger Ausstellung „Turm und Tunnel. Friedhelm Grundmann baut für Kirche und U-Bahn” vom 7. September bis 30. November 2023 zu sehen sein. Ob Studientag, Fotoinstallation oder bauhistorische Ausstellung – in der ersten Septemberwoche ist Greifswald in jedem Fall eine Reise wert, zumal zusätzlich die Kulturnacht und der Tag des offenen Denkmals ein attraktives Programm bereithalten. Und wer dann noch Backsteinhistorie und etwas Ostseestrand mitnehmen möchte, bitteschön.

7. bis 8. September 2023: mehr zum Studientag || 7. September 2023 bis 30. November 2023: mehr zur Ausstellung “Turm und Tunnel”|| 26. August bis 20. September 2023: mehr zur Fotoinstallation „Altstadtplatten“ und zur gesamten Veranstaltungsreihe

Veranstalter:innen und Partner:innen

Die Veranstaltungsreihe “Experiment Moderne”, veranstaltet von der AG Kirche und Kulturerbe an der Universität Greifswald, wird unterstützt vom Amt für Bildung, Kultur und Sport der Universitäts- und Hansestadt Greifswald, von der Nordkirche und von der Sparkasse Vorpommern. Der Studientag wird veranstaltet von Tobias Braune-Krickau und Karin Berkemann für die AG Kirche und Kulturerbe an der Universität Greifswald in Kooperation mit dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz, unter der wissenschaftlichen Tagungsleitung von Karin Berkemann. Die Ausstellung “Turm und Tunnel”, kuratiert von Daniel Bartetzko, Karin Berkemann und Frank Schmitz, ein Projekt der Universität Hamburg mit dem Online-Magazin moderneREGIONAL, wird gefördert von der Sutor-Stiftung Hamburg und ist im September zu sehen im Dom St. Nikolai in Greifswald. Die Ausstellung “Altstadtplatten. Altstadtplatten. Bau und Kunst in Greifswald 1970–1990”, eine Fotoinstallation von Martin Maleschka, ist vom 26. August bis 20. September 2023 zu sehen beim Kooperationspartner der Ausstellung, beim Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, und im angrenzenden Kunstschaufenster.

Titelmotiv: Greifswald, Altstadtplatte in der Knopfstraße (Bild: Martin Maleschka)

Metamorphosen

Zwei Veranstaltungen werfen einen besonderen Blick auf die aktuellen Umwälzungen im Kirchenbau: In Frankfurt fragt ein Fachtag danach, was nach der Leere kommt, nach dem Ende der liturgischen Nutzung. Haben ehemalige Kirchen eine Chance als Lost Places inszeniert zu werden, oder lassen sich hier kreativ neue öffentliche Räume schaffen? Hintergrund der Tagung sind auch die Arbeiten im Rahmen des Studienpreises des BDA Hessen (Gruppe Darmstadt). Gelungen Projekte und studentische Ideen sollen auf dem Podium diskutiert, wissenschaftliche Perspektiven aufgezeigt und gesellschaftliche Fragen angestoßen werden. Der Fachtag „Metamorphose. Kirchenräume als Begegnungsorte der Zukunft?“, der Evangelischen Akademie Frankfurt in Kooperation mit dem BDA Hessen und der Hochschule Darmstadt, findet am 10. Mai 2023 von 16 bis 21 Uhr statt in der Evangelischen Akademie Frankfurt (Römerberg 9, 60311 Frankfurt am Main). Die Teilnahme ist kostenfrei, eine Anmeldung ist online bis zum 3. Mai 2023 erforderlich.

Einen Schritt früher setzt eine zweite Tagung in Loccum an, wo man besonders den ländlichen Raum in den Blick nimmt. Hier scheint der Kirchturm noch selbstverständlicher zum Ortsbild zu gehören. Doch hier wird auch schneller spürbar, wenn das eigentlich dichte Netz an Gottesdienststätten löchrig wird. Denn oft fällt mit dem Kirchenraum auch die letzte Versammlungsstätte, die letzte aktive Jugendarbeit und der Anlaufpunkt für soziale Nöte. Die Tagung “Über den Kirchturm hinausgedacht” – eine Kooperation der Wider Sense Trafo GmbH, der TU Dortmund und des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz – findet vom 15. bis 17. Mai in der Evangelischen Akademie Loccum statt. Eine Online-Anmeldung ist erforderlich.

Marienheide-Kempershöhe, Ev. Kapelle, 1959, 2008 umgenutzt zum Drehorgelmuseum (Bild: DiAuras, CC BY SA 4.0, 2021)

(P)Ostmoderne Kirchen

Während der westdeutsche Kirchenbau in den späten 1970er Jahren scheinbar fast zum Erliegen kam, öffnete sich in Ostdeutschland gerade wieder ein Fenster für neue Pläne. Gegen West-Geld erlaubte die DDR-Regierung damals verschiedenen christliche Gemeinschaften, eigene Räume zu errichten: Unter dem Motto „Kirchen für neue Städte“ wurden die ersten Bauten noch in den 1970er Jahren eingeweiht, die letzten Projekte vollendete man in den frühen 1990er Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung. Es wird geschätzt, dass im sogenannten Sonderbauprogramm rund 80 neue Gottesdiensträume entstanden. Hinzu kamen zahlreiche Sanierungen von historischen Kirchen vor allem in den größeren Altstädten. Doch während der Nachkriegskirchenbau der 1950er und 1960er Jahre inzwischen vermehrt die fachliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, blieb diese Baugattung der Spät- und Postmoderne bislang fast unbeachtet.

Inzwischen haben die Bauten der 1970er, 1980er und 1990er Jahre allgemein an historischer Distanz gewonnen, werden aber durch den wachsenden Sanierungsstau zunehmend zur Disposition gestellt. In der jüngsten Forschung wenden sich Architekturgeschichte und Urbanistik zwar vermehrt der Postmoderne zu, doch der Kirchenbau ist hier als Gattung noch weitestgehend unbearbeitet. Auch die Zeit- und Kirchengeschichte hat sich intensiv mit dem Verhältnis der christlichen Gruppierungen zur DDR-Regierung und zur Bürgerrechtsbewegung auseinandergesetzt, meist ohne die architektonischen Räume jener Jahre mitzudenken. Damit wurde der Kirchenbau im DDR-Gebiet bislang nur in Schlaglichtern und vorwiegend im römisch-katholischen Bereich behandelt – ein Überblick über das Bauen der Religionen in der Spät- und Postmoderne im deutsch-deutschen Vergleich steht noch aus.

Die AG „Kirche und Kulturerbe“ an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald organisiert in Kooperation mit dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz daher den Studientag „Kirchen für neue Städte“, der am 15. September 2023 in Greifswald stattfinden wird. Dafür richtet sich der Call for Papers an (Nachwuchs-)Wissenschaftler:innen aller Fachbereiche (z. B. Architektur(-geschichte) und Denkmalpflege, Theologie und Religionswissenschaft). Mögliche Fragestellungen sind: Lassen sich zwischen den Kirchen des Sonderbauprogramms stilistische Gemeinsamkeiten ausmachen? Wie stellt sich der Vergleich dieser Bauphase in Ost- und Westdeutschland dar? Welchen Einfluss hatten westdeutsche, schwedische und weitere nicht-ostdeutsche Architekt:innen und Künstler:innen auf das Sonderbauprogramm? In welchem Zusammenhang standen die Sonderbauprogramm-Projekte zu den sie umgebenden Altstädten und Neubauquartieren? Welche Rolle kommt ihnen in der besonderen Kirchen- und Religionsgeschichte Ostdeutschlands zu? Und welche Nutzung und Wertschätzung erfahren die Kirchen der 1970er bis 1990er Jahre heute?

Senden Sie Ihr Exposé (maximal 3.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) für ein 20-minütiges Referat und eine kurze Vita (maximal 1.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis zum 31. März 2023 an: berkemannk@uni-greifswald.de. Die Konferenzsprache ist Deutsch. Vorbehaltlich der bewilligten Förderung werden für Referent:innen fünf Reisestipendien ausgelobt. Veranstalterin ist die AG „Kirche und Kulturerbe“ an der Universität Greifswald, vertreten durch den Theologen Prof. Tobias Braune-Krickau und die Theologin/Kunsthistorikerin Dr. Karin Berkemann, in Kooperation mit dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz. Der Studientag ist Teil der Veranstaltungsreihe “Experiment Moderne”, die im Sommer und Herbst 2023 die ostmoderne Altstadtplatte der Hansestadt Greifswald neu in Szene setzt.

Download des Calls

Leinefelde, St. Bonifatius (Bild: Andreas Vogel, CC BY SA 3.0, 2009)