Podcast zur (P)Ostmoderne

Greifswald hat in den 1980er Jahren Architekturgeschichte geschrieben, denn in der Altstadt stießen zwei Realitäten aufeinander: Verfall und Neubau. Die mittelalterliche Planstadt auf schachbrettartigem Grundriss schien perfekt für ein Experiment. Mit der Altstadtplatte wollte eine junge Planer*innengenration verfallende Straßenzüge passgenau rekonstruieren. Nur einzelne historische Häuser wurden bewahrt und neu in Szene gesetzt, während man die Neubauten in abwechslungsreichen Plattenformaten und mit künstlerischen Schmuckmotiven aufwertete. Andere betrauerten den Verlust ihrer Altstadt oder nutzten kreativ die Nischen, die sich in den leerstehenden historischen Häusern auftaten.

Diese Umbruchzeit rückt die AG Kirche und Kulturerbe an der Universität Greifswald mit der Veranstaltungsreihe „Experiment Moderne“ unter Leitung der Theologin und Kunsthistorikerin Dr. Karin Berkemann im Spätsommer 2023 neu in den Blick – mit zwei Ausstellungen und einem Studientag. Die Veranstaltungen werden begleitet von einer Reihe von Zeitzeug.innen und Expert:inneninterviews. Im Gespräch berichten Expert:innen und Zeitzeug:innen – vom Kunsthistoriker Bernfried Lichtnau bis zum Meißener Dombaumeister i. R. Günter Donath – über das Gestalten und Erhalten von Bauten in der späten DDR-Zeit.

Zur Veranstaltungsreihe

Vom 26. August bis 20. September 2023 ist die Ausstellung “Altstadtplatten. Bau und Kunst in Greifswald 1970–1990” im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg (Martin-Luther-Straße 14) und im angrenzenden Kunstort „Das Fenster“ (Lange Straße 75) zu sehen. Der Architekturfotograf Martin Maleschka verbindet so seinen ganz persönlichen Blick auf die hanseatische Spätmoderne mit originalen Zeugnissen der damaligen baubezogenen Kunst. Die Veranstaltungsreihe wird begleitet durch Podcast mit Zeitzeug:innenberichten zum Bauen in der späten DDR-Zeit.

Auch in Sachen Kirchenbau haben die 1980er Jahre in Greifwald sehenswerte Spuren hinterlassen. Denn während diese Architekturgattung in der BRD in den späten 1970er Jahren fast zum Erliegen kam, öffnete sich in der DDR wieder ein Fenster für neue Projekte – gegen Westgeld. Der transdisziplinäre Studientag “Kirchen für neue Städte” widmet sich am 7./8. September  2023 eben jenen religiösen Räumen der Spät- und Postmoderne in Ostdeutschland im gesamtdeutschen und europäischen Umfeld. Nicht zu vergessen die Modernisierung von DDR-Altstadtkirchen, so wie der Greifswalder Dom St. Nikolai durch den Hamburger Architekten Friedhelm Grundmann bis 1989 eine neue Innenraumgestaltung erhielt. Eben im Dom wird die Hamburger Ausstellung „Turm und Tunnel. Friedhelm Grundmann baut für Kirche und U-Bahn” vom 7. September bis 30. November 2023 zu sehen sein. Ob Studientag, Fotoinstallation oder bauhistorische Ausstellung – in der ersten Septemberwoche ist Greifswald in jedem Fall eine Reise wert, zumal zusätzlich die Kulturnacht und der Tag des offenen Denkmals ein attraktives Programm bereithalten.

Titelmotiv: Greifswald, „City-Grill am Domeck“, Ecke Martin-Luther-Straße/Lappstraße, 1989 (Foto: Lenore Lobeck, Copyright: Robert-Havermann-Gesellschaft)

Metamorphosen

Zwei Veranstaltungen werfen einen besonderen Blick auf die aktuellen Umwälzungen im Kirchenbau: In Frankfurt fragt ein Fachtag danach, was nach der Leere kommt, nach dem Ende der liturgischen Nutzung. Haben ehemalige Kirchen eine Chance als Lost Places inszeniert zu werden, oder lassen sich hier kreativ neue öffentliche Räume schaffen? Hintergrund der Tagung sind auch die Arbeiten im Rahmen des Studienpreises des BDA Hessen (Gruppe Darmstadt). Gelungen Projekte und studentische Ideen sollen auf dem Podium diskutiert, wissenschaftliche Perspektiven aufgezeigt und gesellschaftliche Fragen angestoßen werden. Der Fachtag „Metamorphose. Kirchenräume als Begegnungsorte der Zukunft?“, der Evangelischen Akademie Frankfurt in Kooperation mit dem BDA Hessen und der Hochschule Darmstadt, findet am 10. Mai 2023 von 16 bis 21 Uhr statt in der Evangelischen Akademie Frankfurt (Römerberg 9, 60311 Frankfurt am Main). Die Teilnahme ist kostenfrei, eine Anmeldung ist online bis zum 3. Mai 2023 erforderlich.

Einen Schritt früher setzt eine zweite Tagung in Loccum an, wo man besonders den ländlichen Raum in den Blick nimmt. Hier scheint der Kirchturm noch selbstverständlicher zum Ortsbild zu gehören. Doch hier wird auch schneller spürbar, wenn das eigentlich dichte Netz an Gottesdienststätten löchrig wird. Denn oft fällt mit dem Kirchenraum auch die letzte Versammlungsstätte, die letzte aktive Jugendarbeit und der Anlaufpunkt für soziale Nöte. Die Tagung “Über den Kirchturm hinausgedacht” – eine Kooperation der Wider Sense Trafo GmbH, der TU Dortmund und des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz – findet vom 15. bis 17. Mai in der Evangelischen Akademie Loccum statt. Eine Online-Anmeldung ist erforderlich.

Marienheide-Kempershöhe, Ev. Kapelle, 1959, 2008 umgenutzt zum Drehorgelmuseum (Bild: DiAuras, CC BY SA 4.0, 2021)

„Die Denkmalpflege“ zur Inventarisation

„Die Denkmalpflege“, die wissenschaftliche Zeitschrift der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, widmet sich in ihrem aktuellen Heft den Themen rund um die Inventarisation. Dabei reichen die Beiträge von den Grundsatzfragen bis zum Perspektivwechsel hin zum Postkolonialismus, von der Fortschreibung bestehender Listen bis zum Blick auf die Architektur des späten 20. Jahrhunderts. In ihrem Beitrag „Denkmalschwärmen“ beleuchtet Dr. Karin Berkemann die Frage, welche Rolle das Crowdsourcing in der Inventarisation einnehmen kann.

Berlin-Spandau, Zufluchtskirche, Abriss geplant (Bild: Gunnar Klack, CC BY SA 4.0, 2019)